Bericht von Fritz Curds

Aus dem Bericht von Fritz Curds (Uhrmachermeister)

Über diese noch heute existierende, einzigartige Uhr ist oft, sogar vor kurzem noch, soviel Fantastisches und Falsches, nicht nur in der Tagespresse verbreitet worden, dass einmal einwandfreie Tatsachen über sie gebracht werden sollen.

Welche Unmengen Stroh mögen nötig gewesen sein, um ganz einwandfreie Halme auszuwählen! Die Knoten wurden abgeschnitten, und die Halme, welche zur Herstellung irgendwie beanspruchter oder belasteter Teile des Gerüsts und des Uhrwerks selbst dienten, wurden durch vorsichtiges, peinlich genaues drei- bis vierfaches Ineinanderstecken zu einer Art „Holzbalken“ verstärkt, während das Zifferblatt und die Schmuckteile der Vorderseite aus hohlen Strohhalmen gestaltet wurden.

Strasburger Strohuhr – frühe Abbildung

Die Verbindung der einzelnen Teilstücke erfolgte lediglich durch Stifte, die aus zwar dünnen, aber ebenfalls ineinander gesteckten Hälmchen bestehen. Da die Enden nicht abgeschnitten wurden, blieben sie sichtbar und wurden z. T. noch durch Stiftchen aus Strohsplittern quer gesichert.

Bekanntlich haben Getreidehalme eine silikathaltige, außerordentlich harte Oberfläche, sozusagen eine Glasur. Bei dem geringen Gewicht des Materials ist die Reibung zwischen Zapfen und Lager so minimal, dass ein überraschend leichter Lauf des Werkes zustande kommt. Von Abnutzung ist trotz der langen Jahre keine Spur zu entdecken. Selbst das treibende Gewicht in Form eines rechteckigen Kastens besteht aus Stroh.
Trotz ihrer Größe (ca. 175/65/65 cm) wiegt die komplette Uhr nur etwa fünf Pfund. Das Gehwerk enthält, von den Zeigerwerksrädern abgesehen, nur drei Räder, Walzenrad, Zwischenrad und Gangrad, und läuft daher in einem Aufzug nur etwa sechs Stunden.

Zum Schutz gegen den Staub und unerwünschte Berührung wurde die Uhr in einen Glaskasten gesetzt. Zum Transport diente eine zweckmäßig konstruierte Kiste, da sie lange Jahre hindurch auf Reisen sein musste, um ausgestellt und bewundert zu werden.

Ich sah sie vor dem ersten Weltkrieg in Berlin und in den zwanziger Jahren in Frankfurt (Main). Bis 1928 wanderte sie durch Österreich, die Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland und natürlich auch Deutschland. Zuletzt war sie 1928 in Kassel ausgestellt, wo wieder einmal ein sehr hohes Kaufangebot durch einen Amerikaner gemacht wurde. Die Verhandlungen führte als Beauftragter der damalige Betreuer der Uhr, Herr Otto Guiard, Berlin, ein Neffe des Erbauers.

Ein Vorvertrag wurde gemacht und die Uhr auf den Weg nach Amerika gebracht. Das Transportrisiko zu übernehmen lehnte der Amerikaner strikt ab. Bisher hatte die erstaunlich stabile und widerstandsfähige Uhr jeden Transport gut überstanden. Nach dem Verladen in Kassel in Richtung Hamburg entgleiste aber der Sonderwaggon beim Zusammenstellen des Zuges infolge ungeschickten Rangierens unglücklicherweise und die Uhr wurde stark beschädigt. So kam der Kauf nicht zustande, und die Uhr hat im Gegensatz zu öfteren Gerüchten Amerika niemals gesehen, kann also auch nicht wie kürzlich behauptet wurde, in Chicago imMuseumstehen.

Ein Schadenersatzprozess gegen die Bahn ging verloren, und dasWrack wurde an den neuenWohnort der Familie Guiard in Hessen gebracht. Über zwanzig Jahre blieb die Uhr in defektem Zustand, da sich niemand fand, der sie wieder in Ordnung bringen konnte. Herr Otto Guiard starb inzwischen. Erst 1952 gelang es Herrn Günter Guiard, dessen Sohn, also dem Großneffen des Erbauers der Uhr, der übrigens erst 1945 hochbetagt in Strasburg / Uckermark starb, die Uhr nach vieler Mühe und mit außerordentlichem Geschick wieder tadellos in Ordnung zu bringen.

Es ist ihr nicht anzumerken, dass sie seinerzeit verunglückte. Ich habe inzwischen wieder verschiedentlich ausgestellt, wobei sie im Autoanhänger transportiert wurde, ohne dass sie Schaden nahm. In Zukunft soll die Uhr jedoch ihre Reisetätigkeit aufgeben und „pensioniert“ werden. Es wäre bedauerlich, wenn sie eines Tages doch noch ins Ausland verkauft würde. Angebote kommen immer noch. Ihr richtiger Platz wäre in einem großen Museum, z.B. das Deutsche Museum in München oder das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, damit das einmalige, kostbare Stück Deutschland erhalten bleibt.

Am 13. August 1994 übergab Günter Guiard dem Strasburger Museum ein Meisterwerk der Uhrmacherkunst als Leihgabe. Die Uhr war nicht mehr funktionstüchtig. Sie konnte bis zum Umzug ins Stadtmuseum 1999 in der Stadtverwaltung bewundert werden.